Das war mal mein Laden:
Momentan habe ich aus Kostengründen kein Ladenlokal, sondern nur einen Lagerraum.
Doch in meiner Fantasie gibt es ihn: Meinen Trödelladen voller alter Bücher, kurioser Gegenstände und geheimnisvoller Ecken. Altmodisch-mechanische Apparaturen lassen einen Hauch von Jules Verne durch den Raum wehen. Freundliche Kunden finden ihr Lieblingsbuch und trinken mit mir eine Tasse Tee.
Beim Lesen des Buches "Die Antiquarin" von Sheridan Hay (Rowohlt Taschenbuch Verlag) wurde mir bewusst, dass es eine Verbindung gibt zwischen meiner Begeisterung für Bücher und Trödel, für Mittelaltermärkte, für alte Automaten, für Miniaturen und übergroße Figuren und für meine Angewohnheit, schon seit meiner Kindheit diverse Kuriositäten aufzubewahren:
„Nun“, sagte Metcalf, während er unsere Mäntel in einem Garderobenschrank verstaute, dessen Tür sich über einen Knopf in der Wand öffnen ließ. „das hier ist gewiss ein Ort für Kuriositäten.“
„Wie bitte ?“, fragte ich empört, weil ich dachte, er habe mich gemeint.
„Kuriositäten, Rosemary“, sagte Geist, an mich gewandt. „Peabody sammelt nicht nur seltene Bücher, er beherbergt hier auch eine große Sammlung von Kuriositäten. Kunstschrank nennt man das“, sagte er in geziertem Deutsch. „Oder auch Wunderkabinett. Ihn fasziniert die seit dem späten Mittelalter gängige Praxis, wunderliche Dinge zu sammeln. Solche Sammlungen haben Tradition seit – dem sechzehnten Jahrhundert, stimmt's, Sam ?“
„Genau. Junge Dame, vielleicht haben Sie Lust, sich einige der Ausstellungsräume anzusehen, während Mr. Geist und ich uns in die Bibliothek im oberen Stockwerk begeben ?“
.....
„Entschuldigen Sie bitte, was bedeutet das da oben ?“ fragte ich Miss Kircher, die sich bereits zum Gehen wandte.
Ich zeigte auf die Inschrift über unseren Köpfen und zückte mein Notizbuch, um den Spruch aufzuschreiben.
„Je seltener, desto besser“, sagte sie trocken. „Mr. Peabodys Motto. Wunderkammern“ - sie sagte das Wort auf Deutsch - „zelebrieren den Kult des Außergewöhnlichen. Das steht alles in der Broschüre.“
...
Unter Peabodys Motto hindurch betrat ich den ersten einer ganzen Reihe riesiger Räume, von denen jeder in einer anderen Farbe gestrichen war. Der erste, der Salon, zugleich das größte Zimmer, war grün. Hoch oben an der Wand war ein Schild gemalt: Naturalia. Glasvitrinen standen an den Wänden und einige, die nur ein einzelnes Objekt enthielten, auch in der Mitte des Raumes. Ich hatte das deutliche Gefühl, beobachtet zu werden. Blicke folgten mir; aus den Glasaugen der Tiere (einem ausgestopften Bären, Geschöpfen, die aussahen wie Rehe) ebenso wie aus den braunen, pupillenlosen Augen der strengen Bronzestatuen. Auch die seltsam farblosen Augen eines unheimlichen Portraits schienen mich zu verfolgen; das Bild zeigte einen verkrüppelten Zwerg, der bis auf eine üppige Halskrause und einen spitzen Hut auf dem Kopf nackt war. Sein dargebotener Körper war halb Fisch, halb Mensch. Mich schauderte.
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Ich setzte mich einen Moment lang in einen gedrechselten Stuhl, um in den Broschüren zu lesen und mich zu sammeln. Aus der Lehne des Stuhls wuchsen geschwungene Hörner, eigentlich ein gewöhnliches Objekt, das in der Verwandlung vom Stuhl zum mythischen Ungeheuer stehengeblieben war. Ein Mischwesen. Ich empfand eine tiefe Unruhe, war aber zugleich auch fasziniert. Zum ersten Mal wurde mir bewusst, dass Unbehagen ein Teil der Neugier ist.
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Der Begriff Naturalia stand einfach für Dinge aus der Natur. Ich ging von Vitrine zu Vitrine und las die Beschriftungen. Fossilien, Straußeneier, schöne Muscheln, die Hörner von Einhörnern (in Wirklichkeit die Stoßzähne von Narwalen), ausgestopfte Vögel, versteinertes Holz, riesige Samenhülsen, getrocknete und gepresste Flora, gigantische Kokosnüsse von den Seychellen. Das alles erinnerte an das Sammelsurium eines ehrgeizigen Kindes, eines Kindes, das die Manie hat, alles aufzuheben, was ihm vor die Füße fällt; ein Kind, das Vogelnester plündert.
Auf den Etiketten stand zu lesen, früher habe man die riesigen durchscheinenden Bergkristalle für die versteinerten Tränen alter Götter gehalten, für „ewiges Eis“, das die Kraft habe zu heilen. Rote Korallenzweige galten als Aphrodisiakum. Und als ich ein grünes Stück Quarz von der Größe meines Kopfes sah, zog ich Chaps' Amulett, meinen Talisman gegen Herzeleid, aus der Tasche und verglich die Farben. Es war der gleiche Stein. Hier wurde er als Plasma bezeichnet, ein Edelstein, der angeblich die Sehkraft stärkte und Schmerzen linderte. Ein ebenso großer polierter Opal schimmerte dunkel, wie mit kleinen Blitzen von innen beleuchtet – ein Planet, ein schwarzer Mond.
Im nächsten Raum, er war gelb gestrichen, befanden sich die Artificalia. In seltsamen Mischformen trafen hier vom Menschen geschaffene Kreationen auf die Natur. Es waren zwanzig oder mehr bizarre Gefäße und Flaschen zu sehen, in denen ausladende Gold- und Silberskulpturen ausgestellt waren, Glucken, Hähne, Straußen, mit Muscheln geschmückt, und sogar ein kauernder Satyr war dabei, der mich mit rubinroten Augen lüstern anstarrte.
Eine große Nautilusmuschel, die den perlmuttenen Bauch eines silbernen Seepferdchens bildete, war in Wirklichkeit eine Tasse, die sich, einem geheimen Mechanismus folgend, über einen Tisch bewegte, wenn ein obskures Trinkspiel im Gange war. Korallenzweige sprossen aus dem Kopf eines eindrucksvollen goldenen Mannes: Jupiter, dem Göttervater. Er stand breitbeinig auf einer aufwendigen Schreibkommode mit Hunderten von Unterteilungen und Geheimfächern und hielt einen weiteren Korallenzweig in der Hand: laut der Erläuterung neben der Kommode ein Blitz, Symbol für Inspiration.
Hohe Elfenbeintürme, erstaunlich fein geschnitzt und gedrechselt, und so dünn, dass sie fast durchscheinend waren, enthüllten geometrische Formen innerhalb der Formen, Meisterstücke der Perspektive und der Schnitzkunst, die kaum zu begreifen waren. Diese Elfenbeinschnitzereien schienen das Sichtbare an seine Grenzen zu führen – eine winzige Fregatte, hinter einer Lupe aufgebaut, ähnlich der, die Geist im Arcade benutzte, schien die Unendlichkeit in sich selbst zu beinhalten. Miniaturpotraits waren in Kirschkerne geschnitzt, Dutzende davon, in einem verwirrenden Spiel mit Maßstäben. Und in der Tat war die ganze Übung – die Darbietung des ungewöhnlich Großen neben dem ungewöhnlich Kleinen – etwas Sonderbares. Die Übertreibung selbst verursachte Unbehagen.
All diese hybriden Schätze, Verschönerungen der Natur, stammten aus einer Periode zwischen dem späten sechzehnten und dem frühen siebzehnten Jahrhundert und hatten ursprünglich zu den Sammlungen europäischer Fürstenhäuser gehört.
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Ich durchschritt einen weiteren gelben Raum und ruhte mich eine Weile auf einer niedrigen Lederbank aus, die vor einem furchterregenden Automaten in Gestalte eines grotesken Teufels mit dem Körper einer griechischen Statue stand. Sein Kopf schwenkte in meine Richtung, als ich mich hinsetzte. Vielleicht war ein geheimer Mechanismus in den Boden eingelassen, der auf Druck reagierte. Bis ins Mark erschrocken, kehrte ich ihm den Rücken zu, spürte aber seinen Blick, der sich in meine Schultern bohrte. Rasch stand ich wieder auf.
Vor mir standen eine Reihe von Uhren, Armillarsphären und astronomischen Instrumenten. Auf Schildern, die an der Wand hingen, las ich, dass das mechanische, der Automat, Kunst und Natur verbinde und die Natur neu erschaffe. Leben im Leblosen, sogar ein Versuch, das Leben über den Tod hinaus zu behaupten. Viele Objekte waren in gewisser Weise auch ein Memento mori, Dinge, die des Todes gemahnten, und der Zweck von Sammlungen bestand auch immer darin, verlorene oder letzte Dinge zu zelebrieren. Ich fragte mich, ob Peabody Dinge von Menschen in seinen Besitz brachte, die längst tot waren. Aber war das denn etwas anderes, als wenn man gebrauchte Bücher kaufte und verkaufte ?
Kontakt: troedel-laden ät web.de
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